15. August 2024

Intensive Diskussion über die Zukunft der Kunststoffbranche

Sehr gute Resonanz fand die Podiumsdiskussion, zu der wir am 13. August in das Industriemuseum Lohne aus Anlass unseres 75-jährigen Jubiläums eingeladen haben. Rund 140 Interessierte kamen, um sich an diesem Abend aus erster Hand über Perspektiven und Herausforderungen der Kunststoffbranche zu informieren. Thema: „Kunststoffverarbeitung: Auslaufmodell oder Zukunftsbranche?“ 

 

Nachhaltigkeitsexperte Stefan Wagner (Büro CSR Mühlen) moderierte die Diskussion mit den Podiumsteilnehmern Tobias Gerdesmeyer (Landrat Landkreis Vechta), Tom Ohlendorf (Experte für Kreislaufwirtschaft des Umweltverbandes WWF in Deutschland), Alfred Kessen (Geschäftsführer Wernsing Feinkost) und Pöppelmann-Geschäftsführer Matthias Lesch. Der ebenfalls geladene Professor Dr. Nick Lin-Hi (Professur für Wirtschaftsethik, Universität Vechta), musste die Teilnahme leider kurzfristig absagen. 

 

Der Blick auf das Material Kunststoff sei vielfach von Plastikmüll in den Weltmeeren und steigenden Mengen von Kunststoffabfällen geprägt, umriss Wagner eingangs der Diskussion häufig geäußerte Kritikpunkte. In der Frage nach möglichen Alternativen zu Kunststoff – insbesondere im Verpackungsbereich – könne ein sachlicher Materialvergleich helfen. Dazu gab der Moderator einen Hinweis auf das online verfügbare Ökoranking von Lebensmittelverpackungen des Nabu. Und auch die wirtschaftliche Bedeutung dieses Wirtschaftszweigs vor Ort sprach er an: Im Oldenburger Münsterland sind mehr als 8.000 Beschäftigte in der Kunststoffverarbeitung tätig.  

 

In den Antworten auf Wagners Frage an das Podium: „Wie sieht die Zukunft der Branche aus?“ wurde die Vielzahl der Aspekte deutlich, die darauf Einfluss nehmen. Zur Sprache kamen Anforderungen an die Produktgestaltung, die Verfügbarkeit von Rezyklaten, veränderte Produktionsprozesse, Verbraucherwünsche und nicht zuletzt gesetzliche Vorgaben. 

 

Kunststoff verursache gravierende ökologische Probleme, „wenn er in biologischen Systemen landet“, betonte Ohlendorf. Doch müsse die Thematik differenziert betrachtet werden, erklärte der WWF-Vertreter. „Denn Kunststoff ist aus der Welt nicht wegzudenken.“ Er verwies auf die WWF-Studie Modell Deutschland Circular Economy (MDCE). Ohlendorf: „Um die Ziele für den maximalen Rohstoffkonsum im Einklang mit den wissenschaftlichen Grundlagen für die globalen Grenzen zu erreichen , müssen wir in Deutschland unseren Rohstoffkonsum von jetzt 16 Tonnen pro Kopf und Jahr auf 7 Tonnen reduzieren. Ohne Verzicht geht es nicht. Aus der Ressourcenkrise werden wir uns nicht rausrecyceln können.“ 

 

Auch wenn die recyclingfähige Gestaltung von Produkten ein wichtiger Faktor sei, habe die Vermeidung von Abfällen und Mehrweglösungen für den WWF Priorität. Ohlendorf forderte die „Harmonisierung von Polymertypen“, also eine Standardisierung der verwendeten Kunststoffe, um die Verwertung der Kunststoffverpackungen nach Gebrauch zu erleichtern. „Dann haben wir auch mehr Qualität in der Sortierung.“ 

 

Lebensmittelhersteller Wernsing setzt bei seinen Verpackungen seit Langem auf Materialeinsparungen und die Verwendung von Monomaterialien. Geschäftsführer Alfred Kessen gab Einblick in die Auswirkungen in Produktion und Logistik: „Wenn Material reduziert wird, hat dies Einfluss auf Maschinengenauigkeit und beispielsweise auch darauf, wie die Ware als Palette gepackt wird. Veränderungen erfordern die Bereitschaft zum Umdenken auf allen Ebenen.“ Und auch Kundenwünsche und -gewohnheiten spielen in solche Fragen mit hinein: zum Beispiel bei Convenience-Produkten, die in der Verpackung erwärmt werden. „Hier auf Monomaterial umzustellen, ist schon herausfordernd.“

 

Vehement kritisierte Kessen, dass die recyclingfähige Gestaltung von Verpackungen nicht vom Dualen System belohnt werde. Hintergrund ist eine geplante Reform des Paragraphen 21 des Verpackungsgesetzes. Danach sollen recyclingfähige und ökologische Verpackungen bei der Lizenzierung durch die Dualen Systeme finanziell bessergestellt werden als andere Verpackungen – und zwar nach objektiven Kriterien und unabhängig vom Material der Verpackung. Bis heute ist die Umsetzung nicht in Sicht.

 

Kessens Kritik teilte auch Matthias Lesch: „Es ist frustrierend, wenn man eine voll recyclingfähige Verpackung herstellt und dafür dieselbe Gebühr für die Dualen Systeme anfällt“, erklärte er. Mit einem Blick in seinen Einkaufskorb macht der Pöppelmann-Geschäftsführer eine weitere Problematik anschaulich. Denn anders, als allgemeinhin vielfach vermutet, ist der ökologische Fußabdruck einer Kunststoffverpackung keineswegs generell schlechter als der einer Verpackung aus Papier, Glas oder einem Materialmix – oft gilt sogar das Gegenteil. Im Vergleich zu einem recyclingfähigen Salatbecher aus Kunststoff sei ein Einwegglas mit einem Weißblech-Deckel „ökologisch ein Desaster“. Lesch betonte: „Wenn Verzicht keine Option ist, geht es um die Frage: Welches Material ist wirtschaftlich und ökologisch am sinnvollsten?“ Sein Vorschlag: „Am einfachsten wäre ein CO2-Preis.“ 

 

Bei Pöppelmann habe man sich auf den Weg gemacht. „Heute ist jedes zweite Kilo, das wir verarbeiten, ein Rezyklat. Wir sind bei 50 Prozent, weil wir seit acht Jahren intensiv darauf hingearbeitet haben. Branchenweit liegt diese Quote bei etwa 10 Prozent.“ Doch um – wie vom Gesetzgeber gefordert- höhere Rezyklateinsatzquoten zu erreichen, reichten die aktuell verfügbaren Materialströme längst nicht aus. Dies machte auch der Vertreter eines Recyclingunternehmens in der Fragerunde deutlich: „Es werden zurzeit mehr Anlagen geschlossen als aufgemacht. Wir müssen Müll importieren, weil viel zu wenig Rezyklat zur Verfügung steht“, kritisierte der Unternehmer. Er forderte: „Es muss ein wirtschaftlicher Vorteil sein, Rezyklate einzusetzen. Den Rest regelt der Markt.“ 

 

In Richtung Landrat Gerdesmeyer verwies Lesch zudem auf die Bedeutung der Energiewende für die Zukunftsfähigkeit der Industrie: „Für die Unternehmen wird eine Zeit kommen, in der die betriebsnahe Nutzbarkeit grüner Energie vor Ort über den Erfolg am Standort entscheidet.“ 

 

Der Landrat nahm den Ball auf, stellte Planungen auch „in Nähe großer Verbrauchsstellen“ in Aussicht: „Bis zum Jahr 2027 müssen wir 1,56 Prozent der Fläche des Landkreises Vechta für Windenergie vorhalten, das ist drei Mal so viel wie bislang.“ Dabei seien „gute Kompromisse“ gefragt. Denn es könnten auch solche Bereiche betroffen sein, für die Naturschutzfragen eine Rolle spielten. Zur Zukunft der Kunststoffbranche in der Region zeigte sich Gerdesmeyer zuversichtlich: „Das Know-how vor Ort im Bereich Kunststoff ist gewaltig. Wir können beispielgebend sein für Veränderungen.“

 

In den vielen intensiven Gesprächen der Teilnehmer und Gäste im Anschluss an die Diskussion zeigte sich, wie groß das Interesse und der Informationsbedarf zum Thema Kunststoff ist. Und auch, wie wichtig es ist, im Gespräch miteinander zu bleiben, um gemeinsam die besten Lösungen für Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft zu erarbeiten.
 

 

Sie diskutierten auf dem Podium: von links Moderator Stefan Wagner, Alfred Kessen (Geschäftsführer Wernsing), Matthias Lesch (Geschäftsführer Pöppelmann), Tobias Gerdesmeyer (Landrat Landkreis Vechta) und Tom Ohlendorf (WWF). Foto: Timo Lutz Team für Industriefotografie

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Pöppelmann